Lost ohne Translation

Die Schweiz spricht Weltrecht – und kaum jemand bekommt was mit.

Von Timo Kollbrunner (Text) und Daniel Stolle (Illustration), 15.03.2024

Vorgelesen von Jonas Rüegg Caputo
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Am allerletzten Verhandlungstag um 16.42 Uhr ist es endlich so weit. Ousman Sonko, ehemaliger Innen­minister Gambias, angeklagt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen Tötungen, Folterungen und Vergewaltigungen, erhebt erstmals in dieser Woche seine Stimme. Ein bisschen zumindest.

Leicht vornüber­gebeugt sitzt der schmächtige Mann im graublauen Faserpelz da, selten schaut er zu den beiden Richtern und der Richterin auf, leise liest er ab von seinem Manuskript: Er bedaure es, dass das Gericht es abgelehnt habe, ihm eine Simultan­übersetzung des Plädoyers der Bundes­anwaltschaft zur Verfügung zu stellen, die es ihm erlaubt hätte, «zu verstehen, was mir vorgeworfen wird, und Ihnen somit etwas Sinnvolles sagen zu können». Auch eine schriftliche Übersetzung ins Englische habe er bis zuletzt nicht erhalten. Das Gericht habe es so nicht nur ihm erschwert, dem Verfahren zu folgen, es habe auch den Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens «weitgehend ausgehebelt» – auf Kosten «der an diesem Prozess am stärksten interessierten Personen, meiner gambischen Mitbürgerinnen».

Sonko werden Verbrechen gegen Landsleute vorgeworfen, die so schwer sind, dass sie überall verfolgt werden – unabhängig vom Tatort oder von der Nationalität von Tätern und Opfern. So sieht es das Weltrechts­prinzip vor. Deshalb muss sich der 55-Jährige nun in Bellinzona diesem Mammut­prozess stellen, nachdem er im Januar 2017 in einem Asyl­zentrum im bernischen Lyss verhaftet wurde.

Dass ausgerechnet der Beschuldigte kritisiert, die gambische Zivil­gesellschaft sei vom Verfahren ausgeschlossen worden, ist an diesem 7. März die vorläufige Schluss­pointe eines über weite Strecken doch recht befremdlich anmutenden Geschehens, das sich in den Tagen zuvor unter der pyramidenförmigen Sichtbeton­kuppel im grossen Gerichts­saal des Bundes­strafgerichts in Bellinzona abgespielt hat.

«Ein trauriges Schauspiel»

Ousman Sonkos Verteidiger Philippe Currat war der Kragen seiner Genfer Anwalts­robe schon drei Tage zuvor geplatzt – wenige Stunden nachdem die Verhandlung nach einem sechswöchigen Unterbruch wieder aufgenommen worden war. Staatsanwältin Sabrina Beyeler hatte sich ans Pult vor die Richter gestellt, um in rund sechs Stunden in deutscher Sprache darzulegen, wieso Ousman Sonko in diesem «historischen Prozess» schuldig zu sprechen und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen sei. Es ist nach dem Verfahren gegen den liberianischen Ex-Militär­kommandanten Alieu Kosiah erst der zweite Fall, der in der Schweiz gemäss dem Weltrechts­prinzip verhandelt wird.

Sie war noch nicht in der Hälfte angelangt, als Currat sich auf dem Netzwerk Linkedin zu Wort meldete: «Die Staats­anwaltschaft hat mit ihrem Schluss­plädoyer begonnen, das den ganzen Tag dauern wird. Ich habe verlangt, dass meinem Mandanten entweder eine simultane oder eine schriftliche Übersetzung gewährleistet wird, damit er verstehen kann, was ihm vorgeworfen wird. Ablehnung durch das Gericht.» Es sei, schrieb Currat weiter, «ein trauriges Schauspiel unserer Gerichte, die offensichtlich nicht verstehen, worum es bei einem Verfahren geht, das auf Grundlage der universellen Gerichtsbarkeit geführt wird».

Man kann beileibe nicht sagen, diese Kritik sei aus dem Nichts gekommen.

Vergangenen Juli bereits hatte die Berner Anwältin Annina Mullis, die im Prozess zwei Privatkläger und eine Privatklägerin vertritt, beim Bundes­strafgericht beantragt, es sei eine «Übersetzung der gesamten Haupt­verhandlung zu gewährleisten». Ihren Mandantinnen sei «für das gesamte Verfahren zu Lasten der Verfahrens­kosten eine Deutsch-Englisch-Übersetzung zur Seite zu stellen». Und weil davon auszugehen sei, dass «dieses Verfahren grosses internationales Interesse, insbesondere in gambischen Medien und in der gambischen Bevölkerung, erregen wird», sei auch für die Medien­schaffenden im Zuschauer­raum eine Übersetzung zur Verfügung zu stellen. Mehrere Rechts­vertreterinnen weiterer Privat­kläger reichten ähnliche Anträge ein.

Auch Trial International, die Nichtregierungs­organisation, welche im Januar 2017 mit ihrer Strafanzeige gegen Ousman Sonko das Verfahren erst ins Rollen gebracht hatte, ersuchte das Bundes­strafgericht mehrmals darum, eine Simultan­übersetzung des gesamten Prozesses in Englisch bereit­zustellen und aufzuzeichnen. Und in einem anderen Brief forderten acht zivilgesellschaftliche Organisationen aus Gambia das Gericht auf, eine englische Übersetzung zu organisieren.

Die Bundes­anwaltschaft wollte mehr Öffentlichkeit

Unterstützung erhielten sie auch von der Bundes­anwaltschaft. In einem Schreiben vom 16. November ans Bundes­strafgericht führt Staats­anwältin Sabrina Beyeler aus, anders als «klassische» Strafprozess­fälle richte sich ein Gerichts­verfahren im Bereich Völker­strafrecht «auch an die internationale Staaten­gemeinschaft». Deshalb, so heisst es im Schreiben weiter, «möchte die Bundes­anwaltschaft für den hiesigen Fall anregen, dass die bevor­stehende Haupt­verhandlung im Sinne dieser Ausführungen für eine erweiterte Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann».

Explizit verweist Beyeler auf den Gerichts­prozess im deutschen Koblenz, in dem im Januar 2022 ein syrischer Ex-Offizier zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. In diesem Verfahren wurde den Parteien eine Simultan­übersetzung über Kopfhörer zur Verfügung gestellt. Umstritten war, ob die Übersetzung auch Journalistinnen zur Verfügung gestellt werden sollte. Das Ober­landesgericht Koblenz lehnte dies erst ab, das Bundes­verfassungs­gericht aber verfügte, den Medien­vertretern müsse ermöglicht werden, das Verfahren in arabischer Sprache mitzuverfolgen.

Die Bundes­anwaltschaft bittet das Bundes­strafgericht darum, «bei der Ausgestaltung der Haupt­verhandlung die Interessen der internationalen Gemeinschaft und der gambischen Bevölkerung auf eine Teilnahme am Gerichts­verfahren entsprechend mitzuberücksichtigen».

Mittlerweile könnte die Bundes­anwaltschaft weitere Beispiele aufführen: Auch der weltweit erste Prozess nach dem Völker­strafrecht für Menschen­rechts­verletzungen in Gambia, das Verfahren gegen ein Mitglied der gambischen Sonder­einheit «Junglers» vor dem Oberlandes­gericht im norddeutschen Celle, wurde simultan übersetzt. Und im niederländischen Den Haag hat das Bezirksgericht unlängst sowohl den Prozess um die Bombardierung einer Waffen­fabrik des Islamischen Staats durch einen holländischen Jet im irakischen Hawija wie auch jenen gegen ein Mitglied der für den syrischen Diktator Bashar al-Assad kämpfenden Al-Quds-Brigaden simultan auf Arabisch übersetzt und online übertragen. Der Presse­sprecher des Haager Bezirks­gerichts erklärte, man habe sich für eine Simultan­übersetzung entschieden, «weil es im Publikum und unter den Opfern Personen gab, die die holländische Sprache nicht gut beherrschten».

«Aus rechtlicher Sicht unproblematisch»

Von so viel Pragmatismus ist man in Bellinzona weit entfernt.

Auf Anfrage der Republik schreibt die Direktions­assistentin des Bundes­strafgerichts Folgendes: Die Bundes­anwaltschaft habe für das Verfahren Deutsch als Verfahrens­sprache bestimmt. Die Befragungen der Beschuldigten, der Auskunfts­personen und des Zeugen im Januar seien auf Deutsch beziehungs­weise Englisch übersetzt worden. «Für eine vollständige Übersetzung sämtlicher Verfahrens­handlungen fehlt hingegen eine gesetzliche Grundlage», schreibt sie weiter – und verweist auf den Artikel 68 Absatz 2 der Strafprozess­ordnung.

In diesem heisst es: «Der beschuldigten Person wird (…) in einer ihr verständlichen Sprache mindestens der wesentliche Inhalt der wichtigsten Verfahrens­handlungen mündlich oder schriftlich zur Kenntnis gebracht. Ein Anspruch auf vollständige Übersetzung aller Verfahrens­handlungen sowie der Akten besteht nicht.»

Ein Anspruch besteht also nicht. Aber bedeutet das wirklich, dass das Gericht keine vollständige Übersetzung anbieten darf? Die Antwort auf unsere Nachfrage fällt kurz und sec aus: «Das Gericht hält sich an die Vorgaben der Strafprozess­ordnung.»

Wir fragen bei zwei Fachleuten nach. Gerhard Fiolka, Professor für Internationales Strafrecht an der Universität Freiburg, schreibt uns: «Es gibt keinen Anspruch auf Simultan­übersetzung der gesamten Haupt­verhandlung, diese wäre aber wohl zulässig.» Letztlich sei «zentral, dass der Beschuldigte hinreichend über die Anklage und den Verfahrensgang orientiert ist». Das ist wieder eine Frage der Auslegung: Was bedeutet das, «hinreichend orientiert»?

Auch Christopher Geth, Strafrechts­professor an der Universität Basel, liefert eine Einschätzung: Artikel 68 Absatz 2 der Strafprozess­ordnung regle lediglich Minimal­standards. «Prozessual notwendig» sei die Übersetzung jener Schrift­stücke oder Äusserungen, auf deren Verständnis der Beschuldigte «aus Gründen der Verfahrens­fairness und zur Wahrung der Verteidigungs­rechte angewiesen» sei. Auch hier wieder: eine Ermessensfrage.

In einem Punkt allerdings ist die Aussage von Christopher Geth eindeutig: «Es wäre aus rechtlicher Sicht unproblematisch gewesen, wenn der gesamte Prozess oder grössere Teile simultan auf Englisch übersetzt worden wären.»

Bundesstrafgerichts­präsident Alberto Fabbri, der dem Dreier­gericht im Fall Sonko vorsitzt, hätte durchaus eine umfassendere Übersetzung – ob simultan oder schriftlich – organisieren können, wenn er denn gewollt hätte.

Hat er aber nicht.

Am letzten Prozess­tag dürfen alle Parteien noch einmal Stellung nehmen zu den Vorträgen der Gegen­parteien. Die Staats­anwältin zuerst, danach die Vertreterinnen der Privat­klägerinnen, von denen für die zweite Verhandlungs­phase keine einzige mehr aus Gambia angereist ist. Und schliesslich Sonkos Verteidiger Philippe Currat, der noch einmal darlegt, dass sein Mandant für die Taten, die ihm vorgeworfen würden, nicht verantwortlich und deshalb freizusprechen sei.

Sonko selbst sitzt einen weiteren Tag lang einfach da auf seinem Stuhl. Mal streicht er mit Leucht­stift Zeilen auf Blättern an, dann kramt er ein paar weitere Papiere aus einem Plastik­sack, geflissentlich darauf bedacht, keinen Lärm zu machen.

Einen weiteren Tag lang versteht er kein Wort. Möchte er eines verstehen, er müsste es im Oxford English Dictionary nachschlagen, der vor ihm liegt. Das tut er nicht.

Mediale Notversorgung

Dafür dass die internationale Gemeinschaft zumindest in den wichtigsten Zügen nachvollziehen kann, was in diesen Tagen in Bellinzona geschehen ist, sorgt in erster Linie Trial International. Und zwar sprichwörtlich in erster Linie: Benoît Meystre, Anwalt und juristischer Berater der NGO, sitzt in der ersten Zuschauer­reihe an einem Tisch und tippt in seinen Laptop. Den ganzen Prozess über hat Trial International Tag für Tag eine Zusammen­fassung des Geschehens in Englisch geliefert, «damit auch die interessierten Menschen in der Schweiz, im Ausland und insbesondere in Gambia, die nicht nach Bellinzona reisen konnten, die Diskussionen im Gerichts­saal nachvollziehen können», wie Meystre in einer Verhandlungs­pause sagt.

Gerade in einem solchen Prozess, dessen internationale Dimension besonders wichtig ist, hätte er sich gewünscht, dass das Gericht punkto Übersetzung eine etwas fortschrittlichere Position eingenommen hätte. Dass es das nicht tat, sei für ihn ein Zeichen, «dass das Bundes­strafgericht die Bedeutung dieses Prozesses für Gambia nicht wirklich verstanden hat. Was bringt ein Prozess, wenn die Betroffenen – alle Gambierinnen, die Opfer eines diktatorischen Regimes waren – diesem nur sehr lückenhaft folgen können?», fragt er.

Ja, was bringt das? Es ist eine Frage, die einen geradezu anspringt an diesem letzten Verhandlungs­tag Anfang März.

Im Medien­raum nebenan, in den der Prozess auf drei Bildschirmen übertragen wird, haben sich gerade noch drei Personen eingefunden. Eine Journalistin der Nachrichten­agentur SDA ist ganz allein dafür zuständig, dass der Abschluss der Haupt­verhandlung in der Schweizer Tagespresse zumindest einen leisen Widerhall findet. Das Schweizer Medien­interesse an diesem Fall beschreibt sie mit einem Wort: «gschämig».

Vor ihr im Raum, in der ersten Reihe vor den Bild­schirmen, sitzen die Journalistin Mariam Sankanu und der Journalist Sanna Camara. Erst die Initiative einer Gruppe von Unter­stützern in der Schweiz und Deutschland (die auch von Verlegerinnen der Republik mitgetragen wurde) hat es überhaupt möglich gemacht, dass sie für diese Prozess­woche noch einmal anreisen konnten. Nur dank der Übersetzungs­dienste von befreundeten Journalisten haben sie zumindest zeitweise verstanden, was im Gerichts­saal nebenan besprochen wurde. Und nur weil sie sich bei den Parteien die Plädoyer­notizen organisiert haben – manche in Deutsch, andere in maschinen­übersetztem Englisch – können sie dem Geschehen halbwegs folgen und über den Prozess berichten.

Aus Sicht des Bundes­strafgerichts aber ist «die Justiz­öffentlichkeit gewahrt», wie es auf Anfrage mitteilt.

Schliesslich hätten «sowohl in- und ausländische Medien (inklusive gambische Medien­schaffende) als auch NGOs» über die Verhandlung berichtet. Diese Position überrasche ihn sehr, sagt Benoît Meystre. Trial International habe die Frage nach der Übersetzung schliesslich nicht zuletzt deshalb aufgeworfen, weil es hier auch darum gehe, good practices für Prozesse nach dem Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit einzuführen, die es künftig häufiger geben werde.

Das Verfahren gegen Ousman Sonko, sagt Meystre, hätte als gutes Beispiel für weitere Fälle dienen können, was den Zugang der Öffentlichkeit zum Verfahren betrifft. «Wir wollten verhindern, was nun eingetreten ist: dass die Zivil­gesellschaft die Kommunikations­arbeit leisten muss, die unserer Meinung nach vom Gericht übernommen werden sollte.»

Braucht es Gesetzes­änderungen?

Auch Nicola Bier hat den Prozess gegen Ousman Sonko vor Ort in Bellinzona mitverfolgt. Sie beschäftigt sich als Rechts­referentin der NGO Reporter ohne Grenzen vertieft mit Fragen zur Zugänglichkeit von Prozessen mit supra­nationaler Bedeutung. Sie sagt, die Durchführungen von Verfahren nach dem Völker­strafrecht und gerade nach dem Weltrechts­prinzip seien bei der Schaffung nationaler Strafprozess­ordnungen nicht antizipiert worden. Sie stellten die Rechts­anwendung vor neue Heraus­forderungen, denen grundsätzlich auf zwei Ebenen begegnet werden könne: «Von den Gerichten kann man in einem gewissen Mass verlangen, dass sie sich um angemessene Anwendung und Auslegung bemühen. Und wo die Gerichte an ihre Grenzen stossen, ist die Gesetzgebung gefragt.»

In Deutschland läuft derzeit ein Gesetzgebungs­verfahren zur «Fortentwicklung des Völker­strafrechts». Im aktuellen Gesetzes­entwurf ist unter anderem das Ziel festgehalten, dass «Rezeption und Verbreitung bedeutsamer deutscher Völker­strafrechts­prozesse gefördert werden, um die Fortentwicklung des Völker­strafrechts zu unterstützen». So soll neu festgeschrieben werden, dass sich Personen, die nicht Deutsch sprechen, «Verdolmetschungen bedienen» dürfen.

Die NGO Reporter ohne Grenzen fordert mehr: Sie will, dass im neuen Gesetz festgeschrieben wird, dass auch Journalistinnen einen Anspruch auf eine Übersetzung haben. Und sie möchte erreichen, dass das Gesetz künftig auch Online-Übertragungen von Verhandlungen erlaubt.

Der Basler Strafrechts­professor Christopher Geth schreibt, aus seiner Sicht wäre auch in der Schweiz der Gesetzgeber gefragt: «Wenn man die Strafhoheit der Schweiz auf im Ausland begangene Völker­straftaten ausdehnt, müsste dies prozessuale Konsequenzen haben, eben etwa durch eine weitreichendere Pflicht für Übersetzungen.» Das sei übrigens ein Thema, das ohnehin grundsätzlicher angegangen werden müsste, auch bei rein inländischen Verfahren: Die fehlende Pflicht zur Übersetzung sei beispielsweise auch bei der Ausstellung von Straf­befehlen problematisch.

Um Online-Übertragungen zu ermöglichen, wäre ebenfalls eine Gesetzes­änderung nötig. Da ist sich Geth mit Gerhard Fiolka von der Universität Freiburg einig: Die geltende Gesetzgebung lasse dies derzeit nicht zu. Genauso wenig können derzeit Verfahren am Bundes­strafgericht von vornherein in englischer Sprache geführt werden, wie es etwa am Bundes­patentgericht möglich ist. Auch dafür müsste erst eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden.

Gerhard Fiolka ist sowieso der Meinung, für die «Aussen­wirkung des Verfahrens» werde «das Urteil selber und seine Verbreitung und Würdigung (gerade auch in den Medien) deutlich bedeutsamer sein als das Geschehen in der Haupt­verhandlung», wie er schreibt.

Wann dieses Urteil verkündet wird, weiss allerdings niemand. Manche rechnen mit Früh­sommer, andere eher mit Herbst. Erst einmal muss sich das Gericht in die Unterlagen vertiefen. 126 Ordner füllten diese, hatte die Staats­anwältin gesagt, 1,2 Terabyte schwer seien die digitalen Akten, erzählt man am Rande der Verhandlung, manche Parteien hätten sich für den Prozess extra neuen Daten­speicher beschaffen müssen.

Was klar ist: Wenn der Gerichts­präsident das Urteil eröffnet, wird Ousman Sonko einmal mehr nichts verstehen. Auf Anfrage teilt das Bundes­strafgericht mit: «Die mündliche Urteils­eröffnung erfolgt in der Verfahrens­sprache Deutsch.» Dem Beschuldigten werde «nur das Urteils­dispositiv» übersetzt.

Es wartet al-Assad

Wie das Urteil auch ausfallen wird – es ist praktisch sicher, dass eine der Parteien dieses an die Berufungs­kammer des Strafgerichts weiter­ziehen wird. Und danach wohl ans höchste Gericht der Schweiz, das Bundes­gericht in Lausanne. Auch vor diesen Instanzen werden wieder Anträge eingereicht werden, die verlangen, die Übersetzungs­praxis zu überdenken.

Der Moment wäre günstig.

Denn die Bundes­anwaltschaft scheint gewillt, auf dem Parkett des Völker­strafrechts, wie angekündigt, entschieden vorwärts­zumachen. Am Montag hat sie nach über zehnjährigen Ermittlungen Anklage erhoben gegen Rifaat al-Assad, den Onkel des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad. Dem früheren syrischen Vizepräsidenten und Ex-Offizier wird vorgeworfen, im Rahmen eines Angriffs auf die Bevölkerung der syrischen Stadt Hama im Februar 1982 als Kommandant der Verteidigungs­brigaden «Tötungen, Folter, grausame Behandlung und unrecht­mässige Inhaftierungen» angeordnet zu haben.

Auch dieser Prozess dürfte über Bellinzona hinaus auf Interesse stossen.

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