Briefing aus Bern

Daten von allen, Ehe für alle – und einen können jetzt alle mal

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (45).

Von Andrea Arezina, Urs Bruderer, Dennis Bühler und Brigitte Hürlimann, 21.02.2019

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Es gilt aber nur, wenn man die papierene Stempel­karte nicht verloren hat, was ärgerlich, aber nicht weiter schlimm wäre. Denn kein Finder einer solchen Karte weiss, wem sie gehört und ob dem Besitzer bei den letzten vier Arzt­kontrollen geraten wurde, den Kaffee­konsum herunterzufahren.

Das steht nicht auf der Stempelkarte, das steht im Patienten­dossier. Gut möglich, dass es abgeschlossen in einem feuerfesten Schrank beim Hausarzt liegt. Doch bereits in einem Jahr soll es elektronische Patienten­dossiers geben, vorerst freiwillig. Das wäre keine Meldung wert, wenn man nicht immer wieder von Daten­lecks lesen würde, etwa bei der Swisscom, und von Datenmissbrauch.

Über das elektronische Patientendossier sprach der Bundesrat mit Spitzen­vertretern aus Wirtschaft und Politik. Der «Tages-Anzeiger» ist an das Sitzungsprotokoll gekommen. Der Swisscom-Chef fordert da vom Bundesrat «mehr Leadership vom Bund», der Bundes­kanzler fragt, ob es mehr Druck auf die Ärzte brauche, ein liberaler Regierungsrat gibt zu bedenken, dass es «mit gesetzlichem Zwang» schneller gehen würde – und der Präsident des Duftstoff­konzerns Givaudan, der die Privatsphäre für «einen Luxus der Gesunden» hält, sagt: «Man muss auch die Gesunden bewegen, ihre Daten herauszugeben.»

Nach dieser Lektüre wünscht man sich eine Ärztin, die nur noch spricht und nichts aufschreibt.

Und damit zum Briefing der Woche.

Der Unterschied zwischen Lesben und Schwulen

Worum es geht: Viele Herzen haben wohl höhergeschlagen beim Entscheid der Rechts­kommission des Nationalrates. Just am Valentinstag entschied diese: Eine Ehe schliessen sollen in der Schweiz alle dürfen.

Was Sie wissen müssen: Bereits 2013 reichte eine Nationalrätin einen entsprechenden Vorschlag im Parlament ein. Der entscheidende Satz darin: «Die gesetzlich geregelten Lebens­gemeinschaften stehen Paaren unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung offen.» Diesen Vorschlag hat die Kommission jetzt gutgeheissen. Damit erhalten gleichgeschlechtliche Paare endlich auch rechtliche Möglichkeiten, die bisher nur verheirateten Mann-Frau-Paaren offenstanden: das Adoptionsrecht und das Recht auf erleichterte Einbürgerung. Zögerlich blieb die Kommission bei der Frage, ob lesbischen Paaren der Zugang zur Samenspende erlaubt werden soll. Doch sie schickt auch diesen Vorschlag in Beratung. Dreizehn europäische Länder erlauben lesbischen Paaren eine Samenspende. Darunter auch ausgeprägt katholische Länder wie Spanien und Portugal. Im europäischen Vergleich ist die Schweiz bei den Rechten für gleichgeschlechtliche Paare alles andere als fortschrittlich. Sie belegt auf einem Ranking der europäischen LGBTIQ-Organisationen Platz 22 von 49. Ein Grund für das schlechte Abschneiden ist, dass es kein Gesetz gibt, das die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Sexualität und Geschlechter­orientierung ausdrücklich verbietet.

Wie es weitergeht: Bis zur Ehe für alle wird es noch ein paar Jahre dauern. Die Vorschläge der Kommission gehen jetzt in die Vernehmlassung, wo sich Kantone, Verbände, die Wirtschaft und wer auch immer dazu äussern darf. Dann muss sich das Parlament damit beschäftigen. Und vielleicht kommt es am Ende sogar zu einer Volksabstimmung.

FDP-Präsidentin Gössi spürt die Hitze

Worum es geht: Umweltschutz gehöre zur DNA des Freisinns, sagte die FDP-Präsidentin Petra Gössi in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger». Der unverbindlichen Worthülse liess sie überraschend konkrete Ankündigungen folgen: Die FDP werde sich für eine Flugticket­abgabe einsetzen und dafür, dass die Schweiz ihre CO2-Emissionen im Inland senken muss – und nicht nur über Emissions­zertifikate, die im Ausland eingekauft werden können.

Was Sie wissen müssen: Gössi hat mit diesem Interview ihre eigene Partei überrascht. Die klimapolitischen Schritte, die sie jetzt fordert, flogen letzten Dezember noch wegen der FDP aus dem CO2-Gesetz. Das Gesetz, mit dem die Schweiz die Auflagen aus dem Pariser Klima­abkommen erfüllen möchte, wurde von der FDP gemeinsam mit der SVP so stark verwässert, dass die Linke es zuletzt gemeinsam mit der SVP ablehnte. Auf den Klimademos der letzten Wochen wurde das Kürzel FDP in der Folge mit «Fuck de Planet» übersetzt. Und die FDP-Fraktion politisierte womöglich an der eigenen Basis vorbei: Die Republik berichtete schon im Dezember, dass der von der Partei eingeschlagene klimapolitische Kurs in den eigenen Reihen grossen Unmut auslöst.

Wie es weitergeht: Mit diesem Interview versucht FDP-Präsidentin Gössi, ihre Partei vom Vorwurf zu befreien, ihr sei das Klima egal. Sie denkt wohl an die Wahlen im Herbst. Zur Absicherung ihres Kurswandels hat sie eine Mitglieder­befragung zur Klimapolitik der Partei angekündigt. Auch das ist wahltaktisch klug: Es mobilisiert die Basis und bringt die Partei ins Gespräch. Ob die National- und Ständeräte der FDP die von Gössi geforderte klimapolitische Neu­ausrichtung mittragen, wird sich erst in konkreten Geschäften weisen.

Die digitale Justizakte

Worum es geht: Letzte Woche ist in Luzern der offizielle Startschuss für das Projekt «Justitia 4.0» gefallen. Ziel der breit abgestützten Initiative ist es, die Schweizer Justiz in die digitale Zukunft zu führen – hin zur elektronischen Akte und weg vom Papierberg.

Was Sie wissen müssen: Hinter «Justitia 4.0» stehen Bund und Kantone, die Judikative und die Exekutive; konkret sind eidgenössische und kantonale Gerichte, die kantonalen Justiz­direktorinnen und -direktoren, die Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz, der Anwalts­verband, das Bundesamt für Justiz sowie die Bundes­anwaltschaft aktiv in das Projekt involviert. Die Projekt­gruppe strebt die Einführung des elektronischen Gerichts­dossiers an, das heute in Frankreich, Österreich, Deutschland oder England schon weitgehend realisiert ist. Vorteile des elektronischen Dossiers sind unter anderem Arbeits­erleichterungen sowie die Beschleunigung der Verfahren: Die Dossiers können mehreren Beteiligten gleichzeitig und rasch zugestellt werden. Die Projektkosten werden von Paul Tschümperlin, Generalsekretär des Schweizerischen Bundesgerichts, auf rund 15 Millionen Franken geschätzt, die jährlichen Betriebs­kosten auf rund 3 bis 6 Millionen Franken.

Wie es weitergeht: Die Projektgruppe hat in Luzern einen ambitionierten Terminplan vorgestellt. Bis 2022 werden mehrere Pilot­projekte durchgeführt, bis 2026 sollen erprobte Lösungen bei Bund und Kantonen installiert und eingeführt werden. Die Daten­sicherheit stellt eine zentrale Herausforderung dar, und notwendig ist zudem eine gesetzliche Grundlage, da gewisse Akteure (beispielsweise Rechts­anwälte oder Steuerberater) künftig obligatorisch elektronische Dossiers einreichen müssen – nicht aber der einzelne Bürger.

Der BDP-Vater tritt aus dem Nationalrat zurück

Worum es geht: Nach zwölf Jahren im Nationalrat zieht sich Hans Grunder zum Ende der laufenden Legislatur aus der Politik zurück. «Im Herbst ist es allerhöchste Zeit, dass ich das Bundes­haus verlasse», sagte der BDP-Nationalrat, der die Partei nach ihrer Gründung von 2008 bis 2012 präsidierte, im «SonntagsBlick». Er wolle nicht als Sessel­kleber in Erinnerung bleiben.

Was Sie wissen müssen: Die BDP stellt derzeit sieben Nationalräte und einen Ständerat, wobei die Hälfte der Fraktion aus dem Kanton Bern stammt. Nur schon das Verteidigen des Status quo wäre für die Kleinpartei bei den Wahlen vom Oktober ein grosser Erfolg. Denn die Zeiten, als die BDP einer Mitte-links-Allianz im Bundeshaus zum Erfolg verhalf und so den Atomausstieg und das Ende des Bank­geheimnisses besiegelte, sind vorbei –spätestens seit dem Rücktritt von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf ist die einstige SVP-Abspaltung sowohl politisch als auch arithmetisch unbedeutend. Mit Grunder tritt nun das letzte Aushänge­schild der erfolgreichen Vergangenheit zurück.

Wie es weitergeht: Grunder weiss um die Gefahr, dass seine BDP mittelfristig nicht überlebt – und rät ihr deshalb zu einer Union oder gar einer Fusion mit den Grün­liberalen. Listen­verbindungen, wie sie die beiden Parteien für die National- und Ständerats­wahlen vom Oktober anstreben, genügten nicht, sagte der 62-Jährige der Tamedia. «Nach den Wahlen müssen wir uns zur progressiven Mitte vereinen.» Gelinge eine solche Kooperation, werde man irgendwann auch wieder im Bundesrat vertreten sein. Grunder selbst wird nicht mehr mithelfen. Er will sich nun um seinen Enkel und seine 25 Pferde kümmern.


Flugzeug der Woche

Unmittelbar vor seiner Wahl in den Bundesrat sagte Ueli Maurer 2008, er wolle die schweizerische zur besten Armee der Welt machen – ein Satz, der ihm seither regelmässig um die Ohren fliegt. Sechs Jahre später versagte ihm das Stimmvolk den Kauf von 22 Gripen-Kampffliegern, ein weiteres Jahr später flüchtete er entnervt vom Verteidigungs- ins Finanz­departement. Nun, nach mehr als einem Jahrzehnt in der Landesregierung, ist Ueli Maurer endlich am Ziel angekommen: Am Montag konnte er sein erstes Flugzeug in Empfang nehmen. Der Chef des Flugzeug­hersteller Pilatus, Oskar J. Schwenk, übergab dem Bundes­präsidenten die Schlüssel für eine nigelnagelneue PC-24, einen Düsenjet für maximal acht Passagiere mit der Aufschrift «Swiss Air Force» und einem Schweizer­kreuz auf dem Heck. «Inskünftig fliegt die Schweizer Regierung mit einem in der Schweiz entwickelten und hergestellten Flugzeug», teilte der Bundesrat stolz mit. Dies lässt er sich rund 9 Millionen Franken kosten. Die PC-24 ersetzt eine in die Jahre gekommene Cessna Citation Excel. Das zweite Flugzeug der bundesrätlichen Flotte ist eine Occasion: eine Falcon 900EX, die die Schweizer Regierung 2013 dem Fürstentum Monaco abgekauft hatte.

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