Was diese Woche wichtig war

Eskalation zwischen den USA und dem Iran, Anklage im Fall MH17 – und Neues zu Julian Assange

Woche 25/2019 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Ronja Beck und Oliver Fuchs, 21.06.2019

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Rechtsextremist soll CDU-Politiker erschossen haben

Darum geht es: In der Nacht auf den 2. Juni war der Kasseler Regierungs­präsident Walter Lübcke (CDU) vor seinem Wohn­haus mit einem gezielten Kopfschuss getötet worden. Nun verdichten sich die Hinweise, dass es sich um einen Mord mit rechtsextremistischem Hintergrund handelt, wie die deutsche Bundes­anwaltschaft am Montag­nachmittag bekannt gab. Sie hatte wenige Stunden zuvor die Ermittlungen im Fall übernommen. Haupt­verdächtiger ist der 45-jährige Stephan E. Laut den Behörden hat man Spuren seiner DNA am Tatort gefunden. Die Spezial­einheit der Polizei hat E. am Samstag­morgen festgenommen und in seiner Wohnung umfangreiches Daten­material sowie Waffen sichergestellt.

Das Porträt des erschossenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am Festumzug auf dem 59. Hessentag vom Sonntag. Swen Pförtner/DPA/Keystone

Warum das wichtig ist: Stephan E. ist mehrfach vorbestraft – unter anderem wegen Taten mit ausländer­feindlichem Hintergrund. Aufgrund eines missglückten Bomben­anschlags auf eine Asyl­unterkunft wurde er Mitte der Neunziger­jahre zu sechs Jahren Haft verurteilt, berichtet unter anderem die «Zeit». Weitere Recherchen der Zeitung zeigen, wie Stephan E. seit Jahren in rechtsextremen Kreisen aktiv ist. Die Bundes­anwaltschaft Karlsruhe hat den Fall übernommen. Das ist ausser­gewöhnlich. Die obersten Ermittler greifen nur bei Fällen von «besonderer Bedeutung» ein oder wenn eine «terroristische Vereinigung» hinter einer Tat vermutet wird. Der Politiker Walter Lübcke war seit 2015 zur Hassfigur für Rechts­extreme geworden. Im Rahmen der Flüchtlings­debatte hatte er öffentlich für einen humanen Umgang mit den Geflüchteten plädiert und Pöbler an einer Veranstaltung in die Schranken gewiesen. In der Folge wurde er mit Morddrohungen eingedeckt und befand sich teilweise unter Polizei­schutz. Seine Ermordung weckte bei Beobachtern Erinnerungen an die Attentate der Terror­organisation NSU. In rechts­extremen Kreisen sorgte sie derweil für Beifall. Experten­stimmen warnten nach den jüngsten Erkenntnissen vor einer Zunahme des rechten Terrors in Deutschland.

Was als Nächstes geschieht: Politiker von links bis rechts äusserten grosse Besorgnis über rechtsextreme Gewalt in Deutschland und forderten eine Sonder­sitzung des Innen­ausschusses. Die Ermittler sind zurzeit daran, etwaige Hinter­männer und Komplizen von Stephan E. ausfindig zu machen. Indizien dazu oder zu Verbindungen mit einer rechts­extremistischen Organisation gebe es zurzeit jedoch nicht. Der in Untersuchungs­haft sitzende Stephan E. hat sich bisher nicht zu seinen Tatmotiven geäussert.

Ehemaliger Uefa-Präsident Michel Platini wurde verhört

Darum geht es: Am Dienstag wurde Michel Platini in Paris verhaftet. Die französische Anti-Korruptions-Behörde verhörte den ehemaligen Fussballfunktionär während Stunden. Er konnte das Präsidium in der Nacht auf Mittwoch wieder verlassen. Er sei zur Europa­meisterschaft 2016 in Frankreich sowie zur WM 2018 in Russland und jener 2022 in Katar befragt worden, sagte Platini danach zu Journalisten. Zu einer Anklage ist es nicht gekommen.

Michel Platini nach seiner Einvernahme durch die Anti-Korruptions-Behörde. Julien de Rosa/EPA/Keystone

Warum das wichtig ist: Die Ende 2010 abgehaltene WM-Vergabe, aus der Russland für 2018 und Katar für 2022 als Sieger hervor­gingen, ist höchst umstritten. Seit 2016 ermitteln amerikanische und französische Behörden wegen Korruptionsverdachts. Ein «Mangel an Transparenz» wurde bereits 2014 vom ehemaligen Fifa-Chefermittler Michael Garcia festgestellt. 16 der 24 Exekutiv­mitglieder der Fifa, die damals über die Austragungs­orte entschieden hatten, sind bis heute entweder zurück­getreten, wurden suspendiert oder mit Buss­geldern bestraft. Auch der damalige Uefa-Präsident Michel Platini ist 2010 ein Exekutiv­mitglied gewesen. Platini ist seit 2015 für vier Jahre von allen Fussball­ämtern gesperrt. Hintergrund ist eine Millionen­zahlung, die er 2011 vom ehemaligen Freund und Fifa-Präsidenten Sepp Blatter für frühere Dienste erhalten hatte. Im Zentrum der Befragung Platinis soll ein Treffen gestanden haben, an dem Platini, der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy sowie zwei katarische Staats­männer teilnahmen. An jenem Treffen soll es illegale Absprachen gegeben haben, so der Verdacht, der auch von Sepp Blatter geschürt wurde. So habe sich Katar verpflichtet, den französischen Club Paris Saint-Germain zu kaufen – was dann auch geschah. Im Gegenzug würde Platini für die Stimmvergabe an Katar weibeln.

Was als Nächstes geschieht: Michel Platini konnte zwar nicht belastet werden. Doch die WM 2022 in Katar ist durch ihn nun erneut in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Medien weltweit spekulieren, dass dem Golfstaat die Austragung der WM entzogen werden könnte. Katar steht auch wegen der prekären Situation auf den Baustellen der Stadien in der Kritik.

Massenproteste in Hongkong zeigen Wirkung

Das ist geschehen: Die Massen­proteste haben gewirkt: Das geplante Auslieferungs­gesetz in Hongkong ist auf Eis gelegt. Dies verkündete Regierungschefin Carrie Lam vergangenen Samstag an einer Pressekonferenz. Es sei wahrscheinlich, dass der Gesetzes­entwurf ganz verworfen werde, sagte Lam an einer zweiten Konferenz am Sonntag. Das Gesetz hätte die Auslieferungen von Hongkongs Bürgerinnen nach China ermöglicht.

Warum das wichtig ist: Die pekingnahe Carrie Lam hatte sich trotz der Proteste hinter den Gesetzes­entwurf gestellt (wie im vergangenen Wochen­briefing ausgeführt). Das kam nicht überraschend, gilt sie doch als sture Bürokratin. Das verschärfte die Situation auf der zu China gehörenden, aber zu guten Teilen autonomen Halbinsel zusätzlich. Jetzt ist Lam, wohl auf Anraten ihrer Berater, doch eingeknickt. Und zeigt sich reumütig ob der teilweise gewaltsamen Reaktion der Regierung auf die Proteste. Diese Reue kommt bei den Gegnern des Auslieferungs­gesetzes schlecht an: Am Tag nach ihrem Entschluss gingen nochmals zwei Millionen Menschen auf die Strasse. Sie werfen Lam Unehrlichkeit vor und befürchten, dass sie das Auslieferungsgesetz doch noch durchdrücken könnte. Von einem Rückzug des Entwurfs hat Lam sodann nie gesprochen, sondern nur von einem Ablauf – auch das werfen sie der Regierungs­chefin vor. Forderungen nach ihrem Rücktritt halten an.

Schätzungsweise zwei Millionen Menschen demonstrierten am Sonntag in Hongkong gegen die pekingtreue Regierungschefin Carrie Lam. Stephen J. Boitano/LightRocket via Getty Images

Was als Nächstes geschieht: Carrie Lam befindet sich in der grössten Krise seit ihrem Amtsantritt im Juli 2017. Das Vertrauen der Bevölkerung hat sie mit ihrer Entschuldigung nicht zurück­gewonnen. Wie die chinesische Zentral­regierung Lams Einknicken wertet, ist unklar. Peking hätte das Gesetz auf jeden Fall begrüsst. Verlöre Lam nun auch den Rückhalt von Präsident Xi Jinping, würde sie ihr Amt nicht halten können. Die Organisatoren der Proteste haben zudem weitere Schritte angekündigt. Man wolle Beschwerde einreichen gegen das harsche Vorgehen der Polizei. Weitere Proteste sind also wahrscheinlich – zumal es am 1. Juli, dem National­feiertag in Hongkong, meist sowieso schon zu Demonstrationen kommt.

USA erhöhen den Druck auf den Iran weiter

Darum geht es: «Iran hat einen sehr grossen Fehler gemacht!» twitterte US-Präsident Donald Trump am Donnerstag­abend. Er reagierte auf den Abschuss einer unbemannten amerikanischen Spionage­drohne am Donnerstag­morgen. Die USA behaupten, die Drohne sei in inter­nationalem Luftraum geflogen, Hossein Salami, Chef der iranischen Revolutions­garden, verteidigte den Abschuss. Die Drohne sei sehr wohl in iranischem Luftraum geflogen, sagte er und betonte, man sei auf einen Krieg gut vorbereitet. Erst in der Nacht auf Dienstag hat der (mittlerweile zurückgetretene) interimistische US-Verteidigungs­minister Patrick Shanahan angekündigt, 1000 weitere Soldaten in den Nahen Osten zu verlegen. Die Aufstockung erfolge zu «Verteidigungs­zwecken», so Shanahan. Die meisten Soldaten würden Überwachungs- und Geheimdienst­aufgaben übernehmen. Die Mitteilung aus dem Pentagon folgte nur wenige Stunden nach der Ankündigung des Iran, das atomare Programm wieder hochfahren zu wollen.

Warum das wichtig ist: Der Drohnen­abschuss und der Entscheid der US-Regierung führen den Konflikt mit dem Iran auf die nächste Eskalations­stufe. Seit Wochen droht Teheran mit dem Rückzug aus dem Atom­abkommen, welches die Uran­anreicherung im Land stark eindämmt und so die Produktion atomarer Waffen verhindern soll. Die USA hatten das Abkommen 2018 unilateral aufgekündigt. Präsident Hassan Rohani sieht sich von den zunehmenden Sanktionen der USA in die Ecke gedrängt. Hinzu kommen die Vorwürfe im Fall der zwei Öltanker, die am 13. Juni im Golf von Oman angegriffen wurden. Die amerikanischen Geheim­dienste sehen die Schuld beim Iran, und die Behörden haben Aufnahmen veröffentlicht, welche Kämpfer der iranischen Revolutions­garde beim Entfernen einer am Tanker befestigten, aber nicht detonierten Mine zeigen sollen. Auch Grossbritannien und Saudiarabien stellen sich auf die Seite der USA. Der Iran wies die Vorwürfe entschieden zurück.

Was als Nächstes geschieht: In einem Interview mit dem «Time Magazine» zeigte sich Donald Trump offensiv. Würde der Iran atomare Waffen produzieren, würde er einen Krieg in Betracht ziehen. Beim Verteidigungs­ministerium liegt derweil der Plan auf dem Tisch, weitere 6000 Soldaten in die Region zu schicken. Die EU versucht nun, die Wogen zu glätten und die amerikanischen Sanktionen gegen den Iran zu umgehen. Dass diese Massnahmen weit genug gehen, um die Situation zu entschärfen und das Abkommen zu retten, ist laut Beobachtern unwahrscheinlich.

Verdächtige im Fall des Abschusses der Boeing mit der Flugnummer MH17 angeklagt

Darum geht es: Im Juli 2014 wurde ein Passagier­flugzeug der Malaysia Airlines über der umkämpften Ostukraine abgeschossen. Fast 300 Menschen starben. Nach fünf Jahren hat ein internationales Ermittlerteam am Mittwoch die Namen der mutmasslichen Täter veröffentlicht. Es handelt sich dabei um vier prorussische Rebellen. Sie sollen für den Transport des Raketen­systems verantwortlich gewesen sein, mit welchem das Flugzeug abgeschossen wurde. Die Männer, die sich laut den Behörden in Russland und der Ukraine aufhalten, sind wegen Mordes und der Mitschuld am Absturz angeklagt.

Warum das wichtig ist: Die Täterschaft hinter dem Abschuss der Boeing mit der Flugnummer MH17 auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur war seit je umstritten. Der Westen und die Ukraine geben den prorussischen Separatisten die Schuld, die seit 2014 in der Ostukraine kämpfen. Die Separatisten und Russland verweisen wiederum auf die Ukraine. Es wurden vermeintliche Täter und Tatwaffen präsentiert, das Netz wurde mit Falsch­meldungen geflutet. Nach und nach lieferten Medien­berichte und die laufenden Ermittlungen neue Erkenntnisse. So war die mutmassliche Tatwaffe, ein Raketen­werfer­system, Buk genannt, aus russischen Militär­beständen entfernt und in die Ostukraine geliefert worden. Auch die mutmasslichen Täter, darunter der ehemalige russische Geheimdienst­offizier Sergei Dubinski, waren vom Recherche­netzwerk «Bellingcat» bereits 2017 teilweise identifiziert worden. «Bellingcat» hat nun die Namen weiterer Verdächtiger veröffentlicht.

Wilbert Paulissen verkündete am Mittwoch die Ergebnisse des internationalen Ermittlerteams zum Abschuss des Fluges der Malaysia Airline mit der Nummer MH17. Robin Van Lonkhuijsen/EPA/Keystone

Was als Nächstes geschieht: Der Gerichts­prozess gegen die vier Männer wird ab dem 9. März 2020 in den Nieder­landen abgehalten. Dass sie anwesend sein werden, ist jedoch unwahrscheinlich. Russland muss seine Staats­bürger nicht ausliefern und übt seit Jahren scharfe Kritik an den Ermittlern. Diese kündigten am Mittwoch an, ihre Ermittlungen zum Fall MH17 fortzusetzen. Weitere Haft­befehle seien durchaus möglich.

Zum Schluss: Kommt Assange je wieder frei?

Gut zwei Monate sind vergangen, seit Londoner Polizisten Julian Assange aus der ecuadorianischen Botschaft getragen haben. Nun ist klar, wann der Prozess um die Auslieferung des Wikileaks-Gründers in die USA losgehen wird. Ein Gericht hat diese Woche den Termin auf den 25. Februar 2020 festgelegt. Bis dann wird Assange im Hoch­sicherheits­gefängnis bleiben – und wohl noch Jahre darüber hinaus. Stand heute sind es sieben Jahre und zwei Tage, seit Assange Botschafts­boden betreten hatte. Seither war er keinen Tag lang ein freier Mann. Assange ist eine komplizierte Figur – und es gibt legitime medien­ethische Kritik an seiner Arbeit. Fest steht aber genauso: Das unerbittliche Vorgehen der USA gegen ihn schafft einen Präzedenz­fall, der investigativen Journalisten weltweit nicht egal sein kann. Nils Melzer, Uno-Sonder­berichterstatter, hat Assange im Gefängnis besucht. Seine Einschätzung: Assange zeige die Symptome eines Opfers von psychologischer Folter. In den USA, so Melzer weiter, würde ihm ein Schau­prozess drohen. Unterdessen werfen ihm die US-Behörden 18 verschiedene Verbrechen vor. Die meisten fallen unter das Spionage­gesetz – und hätten bei einer Verurteilung insgesamt 175 Jahre Gefängnis zur Folge.

Top-Storys: Risiken und Nebenwirkungen

Fifafishy. Passend zur Verhaftung von Michel Platini hat «Arte» erneut eine Dokumentation von 2017 zu der WM-Vergabe an Katar aufgeschaltet. Was sich hinter den Kulissen alles abspielte, erzählt von Menschen, die dabei waren, können Sie sich bis zum 17. Juli hier ansehen.

«Holz vor der Hütte». Eine Journalistin der «Süddeutschen Zeitung» stösst bei einer Radtour durch die Schweiz auf das sexistische Plakat eines Sägewerks. Sie meldet sich bei Werk­betreiber Rodolfo Rüdisühli. Es entsteht ein Gespräch, in dem sich die gesellschaftlichen Gräben unserer Zeit auftun.

Libra. Facebook kündigt eine eigene Krypto­währung an. Mit dieser Ansage stösst Mark Zuckerberg, erwartungs­gemäss, auf ordentlich Kritik. Eine regelrechte Wutrede hat «Finews»-Chefredaktor Peter Hody verfasst. Unser Wirtschafts­redaktor Simon Schmid hat sich da lieber für einen sarkastischen Weg entschieden.

Nachschrift für Mursi. Am Montag ist der ehemalige ägyptische Präsident Mohammed Mursi im Gerichtssaal zusammen­gebrochen und gestorben. Wie der Muslim­bruder 2012 im Zuge der Revolution an die Macht kam und schliesslich als kleiner Mann starb, erzählt der «New Yorker» in einer ausführlichen Rückschau.

Häuslebauermüsser. «The Upshot», der Daten­journalismus-Blog der «New York Times», hat sich mit dem Traum vom Eigen­heim befasst. Genauer: damit, dass für manche US-Städte daraus unter­dessen ein Albtraum geworden ist. Denn viele Städte haben Mehrfamilienblocks in ihren Bauzonen fast komplett verboten. In Los Angeles dürfen zum Beispiel in drei Vierteln der Wohn­zonen ausschliesslich Einfamilien­häuschen gebaut werden. Resultat: riesige Suburbias, versteckte Segregation, Umweltbelastung.

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