Challenge Accepted

Ist das nun Wetter und Zufall oder schon der Klimawandel?

Was hat das Klima mit Hitze­wellen oder Überschwemmungen zu tun? Friederike Otto vom Imperial College London findet es heraus. Ihre Attributions­forschung liefert Beweise in Gerichts­verfahren und könnte helfen, besser vor Extremwetter­ereignissen zu warnen. Ein Erklärvideo.

Von David Bauer, Sabrina Weiss (Redaktion) und Bilder & Freunde (Realisation), 19.04.2024

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Video-Transkript

Friederike Otto: «Was ganz deutlich wird in unserer Forschung, ist, dass kein Klimaschutz viel, viel teurer ist.»

Paula Koblitz: «Hallo. Ich bin Paula, bin 10 Jahre alt und gehe in die vierte Klasse.»

Otto: «Hallo. Ich bin Fredi. Ich bin 41 und bin Wissenschaftlerin am Imperial College London.»

Koblitz: «Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Wetter und Klima?»

Otto: «Wetter ist das, was wir an einem bestimmten Ort jeden Tag erleben. Also hier in London zum Beispiel waren heute Morgen 5 Grad und strahlender Sonnenschein. Klima ist das Wetter, das ich erwarten würde. Es ist hier jetzt Winter, es ist Februar, es ist kälter als im Sommer. Das gibt einen Rahmen von Temperaturen, die ich erwarten kann. Wenn ich jetzt zum Beispiel jeden Tag das Wetter messe, über 30 Jahre, und davon den Durchschnitt bilde, dann habe ich das Klima.»

Koblitz: «Im Sommer und im Winter ist es jetzt eher wärmer, also wegen dem Klimawandel, richtig?»

Otto: «Ja, genau. Wir haben also im Sommer viel mehr Hitze­wellen, und die sind auch heisser, als sie ohne den Klimawandel wären. Und gleichzeitig haben wir im Winter viel weniger Kältewellen. Ich weiss nicht, ob dir das schon aufgefallen ist, aber bestimmt haben andere Leute in deinem Leben gesagt: ‹O mein Gott, guck mal, die Blumen blühen jetzt schon im Februar. Früher fingen die erst im März oder April an zu blühen.› Das ist eben ein ganz, ganz deutliches Zeichen des Klimawandels.»

Maya Jäger: «Hallo, Ich bin Maya Jäger. Ich komme aus Graubünden und ich bin Teil des Klimastreiks Graubünden. Ich wollte fragen, was Sie eigentlich genau forschen oder was Sie tun als Wissenschaftlerin.»

Otto: «Mit meinem Team beantworten wir die Frage – wenn zum Beispiel Erdrutsche nach Stark­regenfällen, extreme Hitzewellen oder Dürren auftreten –, welche Rolle der Klimawandel spielt.»

Jäger: «Also geht ihr dann da in Schulen oder Universitäten oder wie macht ihr das?»

Otto: «Nein, wir sitzen in unserem Büro am Computer und analysieren Beobachtungs­daten und die Daten von Wetter­modellen. Für jede Studie, die wir machen, arbeiten wir immer mit Wetter­diensten in der Region zusammen. Wir haben auch mit MeteoSchweiz zusammen­gearbeitet, wenn wir zum Beispiel Studien zu Dürren in Europa gemacht haben.»

«Dann verwenden wir Wetter- und Klimamodelle, um eben die Frage zu beantworten, ob sich diese Wetter­phänomene verändert haben durch den Klimawandel.»

Marina Ganci: «Ich bin Marina und ich bin Meteorologin. Können Sie mir im Detail erklären, wie Sie vorgehen?»

Otto: «Ich kann es versuchen. Am Anfang einer Studie, geht es immer darum, rauszufinden: Was ist eigentlich passiert? Wenn wir diese Studien machen, dann eigentlich immer, weil sie Auswirkungen auf die menschliche Gesellschaft hatten, also eben Menschen­leben gekostet, Infrastruktur oder Ernten zerstört haben.»

«Wenn jetzt Über­schwemmungen in der Schweiz stattgefunden haben und dann die Frage ist, welche Rolle spielt der Klimawandel? Dann müssen wir als Erstes rausfinden, was ist denn eigentlich passiert? Welches Wetter­ereignis hat denn eigentlich diese Über­schwemmungen ausgelöst?»

«Als Nächstes stellen wir dann die Frage: Was ist das für ein Ereignis in der Welt, in der wir heute leben? Ist das ein Jahrhundert­ereignis? Ist das ein 10-jährliches Ereignis? Dann haben wir zum Beispiel rausgefunden, okay, dieses Ereignis, das gerade stattgefunden hat, ist ein 10-jährliches Ereignis im heutigen Klima. Dann kommt der eigentliche Attributions­schritt. Also dann kommt der Schritt, in dem wir rausfinden, welche Rolle der Klimawandel spielt.»

«Wir wissen sehr genau, wie viele Treibhaus­gase seit Beginn der industriellen Revolution zusätzlich in die Atmosphäre gelangt sind. Das heisst, aus den Klima­modellen, die wir verwenden, können wir die zusätzlichen Treibhaus­gase in deren Atmosphäre rausnehmen. Und damit simulieren wir dann mögliches Wetter in der Welt, wie sie ohne Klimawandel gewesen wäre.»

«Und wenn wir dann zum Beispiel sehen: Okay, es ist kein 10-jährliches Ereignis, sondern ein Ereignis, das dort im Durchschnitt nur alle 20 Jahre stattfindet, dann können wir eben sagen, dass aufgrund des Klima­wandels sich die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines solchen Ereignisses verdoppelt hat.»

Ganci: «Spielt die Schuldfrage eine Rolle? Es handelt sich ja um Attributions­forschung, das heisst, man weist Teile der Gesamt­ursache zu. Weist man damit auch Schuld zu?»

Otto: «Also die Schuldfrage ist natürlich eine Frage, die keine wissenschaftliche ist. Aber mit unseren Studien liefern wir Beweise, die eben zeigen, welche Rolle der Klimawandel spielt und damit natürlich auch, welche Rolle grosse Konzerne wie Exxon oder RWE – die eben ihr Geld damit verdienen, fossile Brennstoffe zu verkaufen und zu verbrennen –, welchen Anteil deren Geschäfts­modell an den Zerstörungen hat, die durch solche Extremwetter­ereignisse verursacht werden. Diese Beweise liefern unsere Forschung.»

«Aber die Schuldfrage ist dann natürlich etwas, das vor Gericht oder politisch geklärt wird. Aber diese Attributions­studien ermöglichen es eben erst, dass solche Fragen überhaupt vor Gericht verhandelt werden.»

Ganci: «Können auch Menschen, die nicht an der Forschung teilhaben, diese Daten oder diese Informationen nutzen?»

Otto: «Es ist wichtig zu wissen, was der Klimawandel eigentlich bedeutet – für unsere Stadt, für unser Land. Und damit sieht man natürlich auch ganz deutlich, wer im Moment die Kosten des Klimawandels trägt. Egal, wo ein Extremwetter­ereignis auftritt, es sind immer die ärmeren Teile der Bevölkerung, derjenige Teil der Bevölkerung, der weniger Zugang zu Informationen hat.»

«Mit diesem Wissen wissen dann auch Menschen, die betroffen sind, was der Klimawandel für sie bedeutet. Und damit hoffe ich zumindest, dass das auch einen grossen Teil dazu beiträgt, dass sich weniger Menschen von der Politik belügen lassen. Denn was ganz deutlich wird in unserer Forschung, ist, dass kein Klimaschutz viel, viel teurer ist.»

Irina Mahlstein: «Hallo, ich bin Irina Mahlstein. Ich arbeite am Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (MeteoSchweiz) im Bereich Warnsysteme. Was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an das Thema Attribution und Warnungen denken?»

Otto: «Die meisten Attributions­studien, die wir machen, würden wir wahrscheinlich nicht machen, wenn es effektive Frühwarn­systeme gäbe. Das Rote Kreuz macht uns immer auf Extremwetter­ereignisse aufmerksam, wenn sie grosse humanitäre Konsequenzen haben. Oft kommen diese eben zustande, wenn es keine Frühwarn­systeme gibt oder die Frühwarn­systeme die meisten Menschen nicht erreichen.»

Mahlstein: «Für diese Warnungen haben wir ja Schwellen­werte, die wir nutzen. Wenn gewisse Schwellen von Extremen überschritten werden, dann senden wir eine Warnung an die Behörden und die Bevölkerung. Können wir diese Schwellen in Zukunft so lassen? Oder denken Sie, dass wir als Gesellschaft uns an die Extreme gewöhnen? Oder bleiben wir gleich verwundbar?

Otto: «Es ist, glaube ich, eine relativ schwierige Abwägung, wie man die Schwellen­werte ändert, um zum einen eben nicht zu oft zu warnen, damit Menschen auch noch zuhören, aber die Bevölkerung trotzdem geschützt wird. Gerade in Ländern wie den Philippinen oder Bangladesh, wo eben häufig starke Überschwemmungen oder wirklich lebens­gefährliche Extremwetter­ereignisse auftreten, dort funktioniert die Technologie, um einzelne Menschen zu erreichen, tatsächlich besser. Also über Mobiltelefone. Einfach weil die Menschen dort ein ganz anderes Gefahren­bewusstsein haben.»

«In Europa ist das Bewusstsein, wie tödlich Hitzewellen sind, oder dass eben auch extreme Niederschläge tödlich sein können, oft gar nicht vorhanden. Auch wenn man technologisch einzelne Menschen erreichen kann, erreicht man sie nicht wirklich. Wohingegen, wenn das Gefahren­bewusstsein da ist, dann ist die Art der Technologie oft nicht so relevant.»

Mahlstein: «Denken Sie, dass wenn wir Informationen zur Wiederkehr­periode – zum Beispiel, dass das jetzt ein 50-jährliches oder ein Jahrhundert­ereignis ist – in die Warninformationen einbauen würden, könnte man so die Bevölkerung auf den Klimawandel sensibilisieren?»

Otto: «Also einerseits denke ich: Ja, denn gerade bei extremer Hitze sind die Veränderungen in der return period unglaublich gross. Also Hitzewellen, die man früher im Schnitt einmal in einer Million Jahre erwartet hat, sind jetzt Ereignisse, die alle zehn Jahre zu erwarten sind. Gleichzeitig ist die return period – wenn wir jetzt sagen: 50-jährliches Ereignis, ein Jahrhundert­ereignis – oft sehr irreführend, weil Menschen immer denken, dass ein solches Ereignis eben nur alle 100 Jahre stattfindet und nicht, dass jedes Jahr eine 1-Prozent-Wahrscheinlichkeit hat, dass ein solches Ereignis auftritt.»

«Also zumindest in meinem Team haben wir noch nicht die wahnsinnig perfekte Sprache gefunden, um das so zu kommunizieren, dass es wirklich leicht verständlich ist.»

Koblitz: «Danke schön für das nette Gespräch.»

Über Bilder & Freunde

Bilder & Freunde ist eine Filmproduktions­firma und Kreativ­agentur aus Zürich. Seit 2018 haben sie sich auf die Produktion und Vermittlung von journalistischen Inhalten und Geschichten für Web und TV spezialisiert. Für SRF, NZZ, Swisscom, die TX Group und CH Media haben sie bereits Formate und Konzepte erarbeitet und umgesetzt.