Universität Zürich lädt radikalen Redner aus

Der rechtslibertäre Ökonom und AfD-Sympathisant Markus Krall hätte an der Universität Zürich eine Rede halten sollen. Nach langem Hin und Her kam es nicht so weit.

Von Lukas Häuptli, 18.04.2024

Vorgelesen von Jonas Rüegg Caputo
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Für manche ist Markus Krall ein Star. Auf Telegram hat er mehr als 320’000 Abonnenten, auf X mehr als 170’000, und auch auf Youtube klicken sich Zehn­tausende durch seine Interviews.

Er selbst nennt sich mal «Experte für Risiko­management und Autor» (auf Youtube), mal «Trading Coach» und «Investor Experte» (auf Telegram), mal «Christ» und «Zoon Politicon» (auf X).

Der 61-jährige Deutsche ist schwer zu fassen. Fest steht aber, dass seine Popularität mit seiner Rhetorik zu tun hat. Krall redet viel und schnell, die Sätze seiner Reden sind gestochen scharf.

Eine dieser Reden hielt Markus Krall am letzten Donnerstag in Zürich. Titel: «Sozialkredit­system: Bald auch bei uns?» Inhalt: Droht Europa ein Überwachungs- und Unterdrückungs­system, wie China eines hat? (Ja, ist Krall überzeugt, und zwar wegen des Digital­geldes der Zentral­banken.) Organisiert wurde die Veranstaltung vom Liberalen Institut, einem rechts­libertären Thinktank, sowie von den «Studierenden für die Freiheit Zürich», die dem Liberalen Institut nahestehen. Angekündigt war sie an der Universität Zürich.

Lange sah es so aus, als ob der Anlass auch tatsächlich da stattfindet. Doch dann – und nach einigem Zögern – lud die Universität Zürich Markus Krall aus. Eine Sprecherin hält dazu auf Anfrage der Republik fest: «Die Universität Zürich ist ein Ort des Diskurses und des offenen Meinungs­austausches. Sie ist grundsätzlich offen für Debatten, sofern diese ausgewogen sind und verschiedene Sicht­weisen zulassen. Eine entsprechende Ausgewogenheit war in diesem Fall nicht gegeben, weshalb die Veranstaltung nach Abstimmung mit dem Veranstalter – und auch aufgrund von Sicherheits­bedenken – nicht an der Universität durchgeführt wurde.»

Wie besagte «Abstimmung» genau aussah, ist nicht bekannt. Zunächst hatte die Universität den «Studierenden für die Freiheit Zürich» nämlich eine Bewilligung für den Auftritt von Markus Krall erteilt. Doch als die Republik der Medien­stelle der Uni Fragen zum Anlass stellte, ging ein eifriges Treiben los.

«Wir brauchen noch etwas Zeit, sorry»

Nach einem Tag schrieb die Medienstelle zurück: «Wir sind momentan mit den Organisatoren in Kontakt, können Ihnen aber voraus­sichtlich erst morgen Bescheid geben.» Zwei Tage später folgte die nächste Nachricht: «Wir brauchen noch etwas Zeit, sorry.» Und nach einer Woche meldete die Medienstelle: «Besten Dank für Ihre Geduld. Wir konnten dies nun klären. Die von Ihnen erwähnte Veranstaltung wird nicht an der Universität Zürich stattfinden.»

Und ganz am Schluss schrieb die Universität: «Der letztlich ausschlag­gebende Grund, die Veranstaltung nicht an der Universität Zürich durch­zuführen, waren die zusätzlichen Sicherheits­kosten, die der Veranstalter nicht übernehmen wollte.»

Anders sieht das Olivier Kessler, Leiter des Liberalen Instituts. Die Universität habe die Veranstaltung zunächst bewilligt. Erst zwei bis drei Wochen vor dem Anlass und nach Anfragen von Medien und Studierenden habe sie die Organisatoren vor die Alternative gestellt, entweder die Veranstaltung zu verschieben oder für «ein horrend teures Sicherheits­dispositiv» aufzukommen. Dieses hätte rund 4000 Franken gekostet. «Weil das Liberale Institut keine finanzstarke Organisation ist, haben wir uns entschieden, den Veranstaltungsort zu verlegen, damit wir unsere Mittel für die Verbreitung sinnvoller Ideen verwenden können statt für aufgezwungene Sicherheits­dienste», hält Kessler fest.

Nochmals grundsätzlicher werden die «Studierenden für die Freiheit Zürich», die Co-Organisatoren des Anlasses. Sie schreiben auf ihrer Website: «Der Event musste aufgrund der generellen Situation der Meinungs­toleranz an der Universität Zürich leider abgesagt werden.»

Mangelnde «Ausgewogenheit» von Markus Krall oder mangelnde «Meinungs­toleranz» der Universität Zürich? «Sicherheits­bedenken» und damit drohende Kosten, die die Veranstalter hätten tragen müssen? Was auch immer die genauen Gründe dafür waren, dass der Anlass nicht an der Universität stattfand: Mit Sicherheit haben sie mit Markus Krall zu tun. Dieser fällt nämlich immer wieder – und immer öfter – mit radikalen Äusserungen auf.

Der Prophet rät zu Krypto – und zur Wahl-Monarchie

Zunächst arbeitete der promovierte Volks­wirtschaftler bei verschiedenen Beratungs­firmen, unter anderem bei McKinsey, Boston und Roland Berger. 2019 wurde er CEO der Degussa Goldhandel GmbH; die Gesellschaft gehörte damals dem in der Schweiz lebenden Milliardär August von Finck, der der AfD nahestand und die Partei auch finanziell unterstützte. Nach dessen Tod und der Übernahme der Firma durch Sohn August von Finck verliess Krall 2022 das Unternehmen.

Da galt Krall aber längst als «Crash-Prophet». 2017 hatte er das Buch «Der Draghi-Crash» veröffentlicht und darin den Zusammen­bruch des europäischen Finanz­systems prophezeit. Schuld daran sei Mario Draghi, der damalige Chef der Europäischen Zentralbank, mit seiner lockeren Geldpolitik. Das Buch schaffte es bis in die Bestseller­listen – und der Autor in die NZZ.

Der Crash ist bis heute ausgeblieben. Noch immer aber sagt Krall Europa den Untergang voraus – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch, gesellschaftlich und überhaupt.

Spätestens da fangen seine umstrittenen Aussagen an.

Zum Beispiel:

Um dem Zusammen­bruch des internationalen Finanz­systems zu entrinnen, müsse die Bevölkerung Krypto­währungen kaufen, sagt Krall. Der Einfachheit halber mache sie das gleich bei ihm. So schreibt er am 10. April auf Telegram: «Dies ist der beste Zeitpunkt, um in den Kryptomarkt zu investieren. Wenn Sie noch nicht investiert haben, sind Sie weit im Rückstand und verpassen viel.» Und: «Sie können mit 5.000 €, 10.000 €, 20.000 €, 50.000, 100.000 und so weiter beginnen. Klicken Sie auf den Link, um mir direkt eine Nachricht zu senden.» Ähnliche Nachrichten finden sich auf Telegram fast täglich von ihm.

Oder:

Für ein lebenswertes Leben brauche es eine neue Verfassung. Darauf verweist Krall in seinen zahllosen Youtube-Interviews immer wieder. Wie die einzelnen Verfassungs­artikel genau aussehen, hat er in seinem 2021 erschienenen Buch «Freiheit oder Untergang» aufgeschrieben. Da heisst es unter anderem:

  • Der Staat ist eine «Wahlmonarchie». Neben Legislative, Exekutive und Judikative amtet als vierte Staats­gewalt ein gewählter Monarch mit einem Vetorecht.

  • Das Wahlrecht wird eingeschränkt. So verlieren alle Bürger, die staatliche Leistungen beziehen, ihr Wahlrecht.

  • Eigentum und Einkommen dürfen nicht besteuert werden.

  • Staatliches Geld muss zu hundert Prozent durch Gold oder Silber gedeckt sein.

  • Staatliche Medien werden abgeschafft.

  • Die Grundrechte des Menschen sind gottgegeben.

  • Der Mensch ist Mann oder Frau. Das Geschlecht ist unveränderlich.

Dass es das Buch zum «‹Spiegel›-Bestseller» schaffte, ist Hinweis darauf, wie breiten­wirksam Kralls krude Thesen zumindest zwischen­zeitlich waren.

Ein letztes Beispiel:

Auf Social Media und in Reden läuft Markus Krall mit bemerkens­werter Regelmässigkeit Sturm gegen «die rot-grün-öko-sozialistische Agenda», gegen «Flüchtlinge, die nicht hier sein sollen», gegen «den vom Menschen erdachten Klimawandel», gegen die «Meinungs­terroristen» oder gegen «Gender-Kram».

So schreibt er am 8. April auf X: «Die Transgender-Ideologie ist Teil der Trans­humanismus-Ideologie. Es geht um die Abschaffung des Menschen. So wie die Kommunisten den neuen Menschen und die Nazis den ‹Übermenschen› wollten, so wollen die neuen Faschisten den ‹Transhuman›, der sich ausserhalb, jenseits des Menschlichen definiert, ‹trans- › eben. Diese Ideologien gegen das Menschliche haben in der Vergangenheit immer und ohne Ausnahme im Massen-, ja im Völker­mord geendet.»

Kralls Äusserungen in den letzten Monaten und Jahren sind ein Steigerungs­lauf mit immer extremeren Forderungen – mit Forderungen, die sich im Übrigen mehr und mehr mit dem Programm der vereinigten radikalen Rechten Europas decken.

Die Nähe zur AfD

Auch parteipolitisch hat Markus Krall einen Steigerungslauf hinter sich. Bis 2012 war er Mitglied der CDU, dann parteilos, dann für eine sehr kurze Zeit Mitglied der Werteunion. Das ist die Partei von Hans-Georg Maassen, dem ehemaligen Chef des deutschen Verfassungs­schutzes. Im letzten Februar überwarfen sich die beiden allerdings – ob der Frage, mit wem die Werteunion eine allfällige Koalition eingehen solle, mit der CDU oder der AfD. Krall war für eine Verbindung mit der AfD. In einem Youtube-Interview sagte er unter anderem: «Aus meiner Sicht ist die AfD (…) derjenige Partner, mit dem gemeinsam – zwischen Werteunion und AfD – eine Politik­wende in Deutschland hingebracht werden kann.» Und: «Viele Ideen der AfD sind richtig.»

Auch mit der extremistischen Reichsbürger-Gruppierung um Heinrich XIII. Prinz Reuss hatte Markus Krall Kontakt. Der Kontakt sei aber lediglich «geschäftlich» gewesen, erklärte Kralls Anwalt dazu. Zahlreiche Mitglieder der Reichsbürger-Gruppierung sind in der Zwischenzeit von der deutschen General­bundes­anwaltschaft wegen «Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung» angeklagt worden.

Markus Krall ist umtriebig – oder je nach Standpunkt ein Getriebener. Das zeigt sich auch dieser Tage. Er hat seinen Wohnsitz eben aus Deutschland in die Schweiz verlegt. Und bald wird er sein nächstes Buch veröffentlichen und im Internet eine Gold-Handels-Firma eröffnen.

All das lässt erahnen, warum ein Auftritt Kralls an der Universität Zürich problematisch gewesen wäre. Und warum er deren Gebot des «offenen Meinungs­austauschs» und der «Ausgewogenheit» kaum erfüllt hätte.

PS: Den Vortrag hielt Markus Krall übrigens doch noch – in einem Veranstaltungs­raum in Zürich-Altstetten. Rund 150 Tickets setzten die Veranstalter dafür ab. Das waren so viele, dass für Medien­vertreter kein Platz mehr war. Zumindest nicht für die Republik.

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