Der Einschnitt

Der Schriftsteller Salman Rushdie wurde im August 2022 von einem Islamisten lebensgefährlich verletzt. Nun hat er ein Buch über das Attentat geschrieben – vor allem aber eines über die Liebe und die Kunst.

Von Daniel Graf (Text) und Julia Plath (Illustration), 16.04.2024

Vorgelesen von Magdalena Neuhaus
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Es war ein Überleben gegen die Wahrscheinlichkeit. Als Salman Rushdie am 12. August 2022 auf der Bühne des Amphitheaters in Chautauqua im Bundesstaat New York darüber sprechen sollte, «wie wichtig es ist, sich für die Sicherheit von Schrift­stellerinnen und Schriftstellern einzusetzen», war eben diese Bühne alles andere als ein sicherer Ort.

Warum es an diesem Vormittag keine Security im Amphitheater gab? «Keine Ahnung», schreibt Rushdie lapidar in seinem Buch «Knife», das am Dienstag weltweit erschien und auch in der deutschen Übersetzung von Bernhard Robben diesen Titel trägt. Der islamistische Attentäter, der an Rushdie die Fatwa, vulgo: den Mordaufruf, vollstrecken wollte, den Ayatollah Khomeini 1989 gegen Rushdie erlassen hatte, konnte jedenfalls unmittelbar vor Veranstaltungs­beginn vom Publikum aus die Bühne stürmen und 15-mal auf den Autor einstechen: zuerst in die linke Hand, die Rushdie erhob, um sich zu schützen, dann in den Nacken, die Brust, ins Gesicht, «überallhin».

Nur weil Henry Reese, Rushdies vorgesehener Gesprächs­partner auf der Bühne, heldenhaft eingriff und zusammen mit anderen Gästen den Angreifer überwältigte, ist Rushdie, von bleibenden Verletzungen gezeichnet, heute noch am Leben, der Attentäter wartet auf seinen Prozess.

An jenem Morgen in Chautauqua, schreibt Rushdie, sei ihm «nahezu gleichzeitig das Schlimmste und das Beste am Menschen» begegnet. Es ist ein typischer Satz für diese «Meditationen nach einem versuchten Mord», weil Rushdie in diesem für seine Verhältnisse schmalen und dennoch grossen Buch auch die eigene Nahtod­erfahrung ins Anthropologische überführt: weit über sich selbst hinaus.

Schon als vor einem Jahr sein Roman «Victory City» erschien, wirkte das wie ein Triumph über den Anschlag auf sein Leben. Die Arbeit an «Victory City» hatte Rushdie allerdings bereits vor dem Attentat abgeschlossen. «Knife», sein wohl persönlichstes Buch, ist nun das erste, das er nach dem versuchten Mord an ihm schrieb – und zwar genau darüber. Darüber, dass ein junger Mann ihn hatte töten wollen, weil 1989, und damit ein knappes Jahrzehnt bevor der damals 24-jährige Attentäter überhaupt geboren war, das iranische Regime zum Mord aufgerufen hatte, da Rushdies Roman «Die satanischen Verse» angeblich den Propheten beleidige.

«Knife» ist ein Überlebens­buch. Ein Buch, mit dem Rushdie nichts Geringeres unternimmt, als dem verblendeten Hass und dem Todeskult der Fundamentalisten das Leben und die Menschlichkeit entgegenzuhalten.

Doch wie schon bei «Victory City» sollte man sich davor hüten, Rushdies komplexen Text auf allzu erbauliche Botschaften herunter­zubrechen. «Knife» weiss in jeder Zeile darum, welch bleibender Einschnitt die Messerattacke war. Während all der Jahre, schreibt Rushdie, habe er sich manches Mal vorgestellt, «wie mein Attentäter sich aus diesem oder jenem Publikum» löst und auf ihn zurennt.

Als ich nun die mordlüsterne Gestalt auf mich zustürzen sah, war mein erster Gedanke daher: Da bist du ja. Du bist es also.

Gleich der zweite Gedanke aber sei gewesen:

Warum heute? Echt jetzt? Es ist so lang her. Warum heute? Warum nach all den Jahren? Die Welt hatte sich doch gewiss weitergedreht, dieses Kapitel war längst abgeschlossen. Was da kam und sich so rasch näherte, war jedoch eine Art Zeitreisender, ein mörderischer Geist aus der Vergangenheit.

Das Attentat, etliche Jahre nachdem Rushdie sich bereits wieder frei bewegt und ein scheinbar normales Leben geführt hatte, war auch ein Angriff auf die Zukunft: Es sollte ihn zurück in die Vergangenheit stossen. «Das war der Käfig, in den mich das Messer zwingen wollte», schreibt Rushdie, «die wiederkehrende Vergangenheit, die mich in der Zeit zurück­versetzen wollte».

«Knife» ist in dem tiefen Bewusstsein geschrieben, dass die Fatwa für Rushdie nicht nur einen beträchtlichen Teil seines Lebens definierte, sondern auch die Linse bildete, durch die allzu oft und zu dominant sein Werk rezipiert wurde. Jahrzehnte­lang hatte Rushdie den Stempel als Autor, gegen den die Fatwa verhängt wurde. Jetzt war er der, der das Attentat überlebt hat. Und «Die satanischen Verse» würden wieder «zurück ins Narrativ des Skandals gezerrt» werden. «Was mich betrifft», schreibt Rushdie, «so habe ich allerdings nicht vor, erneut in diesem Narrativ zu leben.»

Man kann diesen Satz auf diesen einen Roman beziehen. Oder auf sein Leben und Schreiben überhaupt.

Wie aber soll das gehen, dem Narrativ entrinnen, wenn das Attentat im Leben und Schreiben bewältigt werden muss?

Um genau diesen Konflikt geht es in «Knife». Er hatte, schreibt Rushdie, vor dem Attentat ein neues Roman­projekt begonnen, das er nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wieder habe aufnehmen wollen – vergeblich:

Erst wenn ich mich mit dem Attentat auseinander­gesetzt hatte, würde ich mich wieder mit anderem befassen können.

Also schreibt Rushdie in «Knife» über den Messerangriff. Über den Attentäter, den er nicht mit seinem Namen, sondern nur «A.» nennt, was mit «Angreifer» oder «Attentäter» ausbuchstabiert werden kann (oder aber – «man möge es mir nachsehen» – mit einem «-loch» am Ende). Vor allem aber stellt «Knife» der Gewalt des Attentäters und dem Plot des Attentats drei radikal abweichende Konzepte entgegen: jenes der Liebe, des Lebens und der Kunst.

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«Knife», und das ist Rushdies grösster Coup, ist auch und vielleicht sogar zuerst eine Liebes­erklärung an seine Frau, die Dichterin, Romanautorin und Fotografin Rachel Eliza Griffiths.

Nachdem Rushdie im eindrücklichen ersten Kapitel namens «Messer» den Mordversuch vom 12. August 2022 und die Folgen beschrieben hat, geht es nicht etwa mit Krankenhaus­szenen oder der Reha weiter und schon gar nicht mit «A.», für den Rushdie erst das sechste von acht Kapiteln vorgesehen hat. Das zweite Kapitel ist Eliza gewidmet, wie Rachel Eliza Griffiths von Rushdie schon in ihrer ersten Begegnung genannt werden wollte. So wie auch Rushdie sein Leben lang nur unter seinem zweiten Vornamen bekannt ist (nur seine Mutter, schreibt er, nenne ihn manchmal Ahmed Salman, und nur, wenn sie ihn ärgern wolle).

In sehr persönlichen Worten beschreibt Rushdie die erste Begegnung mit Eliza 2017, die Anfänge ihrer Beziehung und – Achtung, heikles Wort – das gemeinsame Glück.

Glück, das weiss Rushdie, ist das literarisch Schwierigste überhaupt.

Aber dieses Buch ist ja ohnehin kein Roman, also erzählt Rushdie schnörkellos und ungekünstelt vom gemeinsamen Leben, das unverstellt Schwärmerische eingeschlossen. Der Autor des magischen Realismus, der doppelten Böden, des unerschöpflichen Erfindungs- und Anspielungs­reichtums: Hier erzählt er ganz direkt und ohne Furcht vor dem Plot der «Romantic Comedy» vom eigenen Leben. Den Literaten Rushdie wird man darin dennoch wieder­erkennen: Da ist der geistreiche Humor, das Faible für die sprechende Anekdote, die Selbstironie.

So beschreibt er, wie Eliza und er bei ihrem ersten Flirt auf einer Party des Schriftsteller­verbands beschliessen, nach draussen zu gehen, er ihr durch die Glas­schiebetür folgen will – und vor lauter Ablenkung übersieht, dass die eine Hälfte der Schiebetür noch geschlossen ist. Er prallt «mit voller Wucht gegen die Glasscheibe» und fällt zu Boden. Hollywood, schreibt er, würde daraus das Motto «Knall auf Fall verliebt» machen.

Es ist die Gegen­erzählung in «Knife», die tatsächlich vorübergehend den Anlass des Buches vergessen macht, sich Raum greift, auf das Leben vor dem 12. August 2022 verweist. Und doch verändern sich im Rückblick auch hier die Assoziationen:

Heute kommt es mir vor, als weise diese wie einer romantischen Komödie entnommene Szene merkwürdige Ähnlichkeiten mit dem Attentat auf: die zerbrochene Brille, das Blut (viel weniger Blut, aber dennoch Blut), der Sturz, meine Benommenheit, Leute, die sich über mich beugen.

Immer wieder geht es in «Knife» auch um die Koinzidenzen, die das Leben schafft, als wären es literarische Leitmotive: Bilder, symbolische Daten, die durch spätere Ereignisse überschrieben werden, Bedeutungen verändern, Gedanken neu ausrichten.

Was die Passagen über Eliza aber vor allem vor Augen führen, ist, dass das Attentat auch ein Anschlag auf das gemeinsam erlangte Glück war:

Dann kam das Messer und zerschnitt dieses Leben.

Immer wieder wird im Text diese tiefe Zäsur beschrieben:

Alles schien in bester Ordnung.
Und dann explodierte die Welt.

Und:

Wie könnte man nach einem versuchten Mordanschlag noch glücklich sein?

«Knife» ist ein Buch, das auch gegen diesen Einschnitt anschreibt.

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Natürlich ist «Knife» zugleich ein Buch über den Kampf ums eigene Leben, über Gewalt­erfahrung, Trauma, über körperliche Versehrung und Scham. Rushdie hat durch die Messerstiche sein rechtes Auge verloren, kann den linken Arm und die Hand bis heute nur eingeschränkt benutzen, hat Narben am ganzen Körper.

Er beschreibt, wie sein Körper von Metall­klammern zusammen­gehalten wurde. Wie Eliza beim Chefarzt war, die Verwandten anrief und der Arzt den Angehörigen riet, «sich auf das Schlimmste gefasst zu machen, da die Überlebens­chancen nur minimal wären». Wie er später, wach und bei Bewusstsein, aber noch immer am Beatmungs­gerät, durch Bewegung seiner Zehen kommunizierte: «einmal für ja, zweimal für nein».

Er erzählt, wie viel ihm die weltweite Anteilnahme bedeutet hat; dass so viele Menschen ihm gar geschrieben hätten, sie beteten für ihn, «obwohl sie doch wussten, dass ich ein gottloser Bastard war». Er beschreibt das Beatmungs­gerät, das sich angefühlt habe, «als wäre mir der Schwanz eines Gürteltiers in den Hals gestopft worden». Er berichtet davon, wie ihn «in jenen ersten Tagen nur eines» interessiert habe: Überleben. Und je stärker die Erzählung fortschreitet, desto deutlicher wird, wie sehr der Kampf um das eigene, das vorherige Leben mit allem, was dazugehörte, zu einem gemeinsamen Weg mit Eliza wird.

Eliza lässt sich ihre Kamera­ausrüstung schicken. An Tag 5, schreibt Rushdie, fangen sie gemeinsam an, «meine körperliche Verfassung zu dokumentieren, meine Fortschritte, aber auch meine Gedanken und Ideen über das Attentat festzuhalten, über meine Arbeit und über die Welt». Es «sollte etwas sein, was wir zusammen machten. Damit würden wir dem Tod trotzen und das Leben feiern und die Liebe oder, ein wenig prosaischer, wir würden uns dem angerichteten Schaden stellen.»

Es ist der Beginn eines gemeinsamen Dokumentar­film-Projekts von Eliza und ihm. Und es ist die Grundlage für die spätere Arbeit an «Knife».

In den Passagen zur Reha-Phase heisst es einmal: «Man kann nicht einfach nur rumliegen und sich davon erholen, dass man fast gestorben ist. Man muss das Leben finden.» Tätigkeit als Rückkehr ins Leben. Und für einen Schriftsteller kann diese Tätigkeit nur heissen: schreiben. Nicht über etwas, das abseits des eigenen Lebens lag. Sondern über das, was auf dem Spiel stand.

«Ich begriff», schreibt Rushdie, «dass ich mich mittels Literatur selbst reparieren konnte».

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Es gehört zu den Eigenschaften von Rushdies Texten, dass sie immer auch vom Schreiben selbst, von den Aufgaben der Literatur, von den Möglichkeiten und der Macht der Sprache handeln. Und so führt er in «Knife» schliesslich auch das Titelwort in eine Schlüssel­passage:

Auch Sprache ist ein Messer. Sie kann die Welt aufschneiden und ihre Bedeutung zeigen, ihre inneren Mechanismen, ihre Geheimnisse, ihre Wahrheit. Sie kann von einer Wirklichkeit in eine andere stechen. Kann Bullshit offenbaren, Augen öffnen, Schönheit schaffen. Sprache war mein Messer.

Hier liegt die ganze Paradoxie dieses Buches: Es gibt keinen anderen Weg, als über dieses Attentat zu schreiben, weil erst so der Weg frei wird, sich anderem literarisch zuzuwenden. Das eigene Leben, die eigene Freiheit, das eigene erlangte Lebensglück zu verteidigen gegen die Zudringlichkeiten jenes «mörderischen Geists der Vergangenheit» – das geht nur, indem er sich mit diesem Buch dem Angriff auf sein Leben stellt. «Knife», scheint Rushdie mit Nachdruck zu sagen, musste geschrieben werden, um die Zukunft davon zu befreien. Dieser Schritt lässt sich nicht überspringen.

Sich nicht ausschliesslich von der Todes­drohung bestimmen zu lassen, sondern, im emphatischen Sinne, zu leben, mit allem Anspruch auf die Möglichkeit des persönlichen Glücks – das war der Weg, den Rushdie schon die letzten Jahrzehnte beschritten hat. Jetzt, nach dem Attentat, muss er neu erkämpft, muss die eigene Haltung neu verteidigt werden.

Als Salman Rushdie Ende 2019 der Republik ein Interview gab, sagte er in Zusammenhang mit der Todesdrohung gegen ihn, er habe das Thema schon vor langer Zeit hinter sich gelassen. Seit dem Attentat scheint sich nun eine Frage aufzudrängen, die Rushdie im Buch selbst aufgreift:

Es stellt sich die Frage (und sie wurde mir seit dem Attentat schon öfter gestellt): War es falsch gewesen, mir dieses neue, sorgenfreie Leben aufzubauen? Hätte ich, rückblickend gesehen, nicht vorsichtiger, weniger unbedacht und mir der im Schatten lauernden Gefahr nicht stärker bewusst sein müssen? (…) Hatte ich mich dem Messer gleichsam dargeboten?

Mit anderen Worten, war ich – wie so viele Leute es schon immer behauptet hatten – selbst schuld?

Es sind Passagen wie diese, die deutlich machen, worin Rushdies Kampf gegen die Unfreiheit besteht: sich nicht die Logik der Lebens­verachtung aufzwingen lassen. Und natürlich sind diese Passagen auch eine Antwort auf seine wohlfeilen Kritiker. Zu fordern, er möge doch aus Vorsicht den Anspruch auf ein freies Leben aufgeben, heisst nichts anderes, als zu verlangen, in die aufgezwungene Unfreiheit einzuwilligen.

Und nein, diese Forderung zurückzuweisen, bedeutet nicht im Geringsten, die reale Bedrohung auszublenden.

Rushdie beschreibt in diesem Buch auch die Albträume, die Schmerzen, die bleibenden Beeinträchtigungen an Körper und Seele, den mühsamen Weg zurück in eine Art von Normalität. «Schon der physische Vorgang des Schreibens», so Rushdie, «erinnerte mit jedem Tastendruck an die Ursache der Schmerzen». Aber sein Buch ist auch ein fulminanter Einspruch gegen die Verabsolutierung der Bedrohung, die ihm die Fundamentalisten aufzwingen wollen. «Auf Gewalt wollte ich mit Kunst antworten», schreibt Rushdie.

Man kann es als letzten Schritt zu dieser sprachlichen Gegenwehr betrachten, dass Rushdie dann auch den Attentäter sprechen lässt: in seinen, Rushdies, Worten.

Schon im ersten Teil des Buches hatte Rushdie zusammen­getragen, was über den Attentäter bekannt ist, hat in knappen Sätzen die Radikalisierung jenes Mannes beschrieben, der bislang auf «nicht schuldig» plädiert, obwohl es tausend Augen­zeuginnen für seine Tat gibt. In Kapitel 6, relativ weit gegen Ende, aber eben gerade nicht an prominenter Schluss­position, lässt Rushdie dann fiktive Gespräche zwischen ihm und «A.», seinem Möchtegern-Mörder, folgen. Denn «eine siebenund­zwanzig Sekunden lange Messerattacke», sagt Rushdies erzählerisches Ich zu «A.», gebe ihm doch wohl «das Recht, Ihnen einige persönliche Fragen zu stellen».

Es ist ein Kunstgriff, mit dem Rushdie die Psychologie seines Attentäters offenlegt, ohne ihm eine Bühne zu geben – und ohne diesen Auftritt zum dramaturgischen Ankerpunkt des Buches zu machen.

Direkt danach lässt Rushdie sein eigenes, säkulares Credo folgen: ein Bekenntnis zur Kunst.

Das Wichtigste ist, dass Kunst jegliche Orthodoxie herausfordert. (…) Kunst weiss, dass überkommene Ideen die Feinde der Kunst sind. (…) Klischees sind solch überkommene Ideen ebenso wie jede Ideologie.

Und dann:

Kunst ist kein Luxus. Sie ist die Essenz unserer Menschlichkeit, und ausser dem Recht, sein zu dürfen, verlangt sie keinen besonderen Schutz.
Sie akzeptiert Streit, Kritik, sogar Ablehnung – aber keine Gewalt.
Und am Ende überdauert sie jene, die sie unterdrücken.

Das ist Rushdie in Reinform – und eine Botschaft an alle Autokraten, Ideologinnen und fundamentalistisch gesinnten Geister.

«Knife» ist eine Gegenerzählung. Ein Buch, das dem Hass all jene Kräfte entgegenhält, von denen wir nicht aufhören sollten zu glauben, dass sie stärker sind. Bei der Beschreibung seiner allmählichen Genesung schreibt Rushdie einmal, er glaubte nun zu wissen, worauf er sich «während des mir gewährten zweiten Lebens konzentrieren wollte: Auf Liebe und Arbeit.»

Liebe und Arbeit. Das könnte es sein.

Dann wäre es aber nicht mehr Salman Rushdie. Nicht mehr der politische Autor, der er war und bleiben wird. Denn wie «Arbeit» hier zu verstehen ist, auch daran lässt Rushdie keinen Zweifel:

Liebe, die vor allem, und Arbeit, ja natürlich, aber es gilt auch, an vielen Fronten einen Krieg zu kämpfen – gegen den bigotten Revisionismus, der, ob in Delhi oder Florida, die Geschichte umschreiben will; gegen alle zynischen Mächte, die die zwei Ursünden der Vereinigten Staaten auslöschen wollen, jene der Sklaverei und jene der Unterdrückung sowie des Genozids an den Indigenen dieses Kontinents; (…) gegen jene selbstschädigenden Lügen, die England von Europa getrennt haben. Ich würde nicht tatenlos zusehen können, während diese Schlachten tobten. Auch in diese Kämpfe würde ich – musste ich – mich weiterhin einbringen.

Man muss diese Passagen mitdenken, wenn Rushdie von der Verteidigung seines privaten Glücks erzählt. Wenn er schildert, wie er mit Eliza an den Ort des Attentats zurückkehrt, um eine Antwort zu finden auf die Frage: «Kann unser Glück einen solchen Schlag überstehen?»

Und als ich dort stand, auf der Bühne des Amphitheaters, kannte ich die Antwort. Ja, wir hatten unser Glück aufs Neue erschaffen, wenn auch unvollkommen. (…) Es war ein verletztes Glück, und in einer seiner Ecken lauerte ein Schatten, vielleicht für immer. Trotzdem war es ein starkes Glück, und während wir uns umarmten, wusste ich, es würde genügen.

Würde ein Rushdie-Roman so enden? Wohl kaum. Aber dies hier ist das Leben.

Zum Buch

Salman Rushdie: «Knife. Gedanken nach einem Mordversuch». Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Penguin, München 2024. 256 Seiten, ca. 35 Franken.

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